Strukturierte Interviews

Fair, objektiv, verlässlich

Recruiter verlassen sich häufig noch immer auf unstrukturierte Interviews – und treffen damit Einstellungsentscheidungen, die stark von persönlichen Sympathien, unbewussten Vorurteilen und dem spontanen Gesprächsverlauf abhängen. Strukturierte Interviews sind die Antwort auf dieses Problem. Sie sorgen dafür, dass jeder Kandidat fair beurteilt wird und die besten Talente wirklich die besten sind.

Definition: Was ist ein strukturiertes Interview?

Ein strukturiertes Interview ist ein Auswahlverfahren, bei dem alle Kandidaten dieselben Fragen in derselben Reihenfolge nach standardisierten Kriterien gestellt bekommen, beantworten und diese dann bewertet werden. Im Gegensatz zu freien oder halbstrukturierten Interviews, bei denen Interviewer spontan vorgehen, folgt die strukturierte Variante einem streng geplanten Ablauf.

Der Fragenkatalog, die Abfolge und die Bewertungsmaßstäbe sind vorab festgelegt. Das sorgt dafür, dass jeder Bewerber unter denselben Bedingungen evaluiert wird – unabhängig davon, wer die Gesprächsstunde führt.

Beispiel: Während die freie Variante dazu führt, dass ein Interviewer bei Kandidat A intensiv auf eine Berufserfahrung eingeht und bei Kandidat B ganz andere Themen vertieft, fragt ein strukturiertes Interview bei allen Personen identisch ab: „Beschreiben Sie eine Situation, in der Sie in kurzer Zeit ein komplexes Problem lösen mussten.“

Praktische Anwendung

Wie funktioniert ein strukturiertes Interview?

Der Ablauf besteht aus vier wesentlichen Phasen

1. Vorbereitung: Die Grundlage schaffen

Zuerst definiert Dein Team die Anforderungen der Position detailliert – fachliche Kompetenzen, Verhaltenskriterien und kulturelle Passung. Darauf basierend werden 8–15 Kernfragen entwickelt, die diese Anforderungen abbilden.

Eine gute Frage für einen Projektmanager könnte lauten: „Erzählen Sie von einem Projekt, bei dem sich die Anforderungen während der Laufzeit grundlegend verändert haben. Wie sind Sie damit umgegangen?“ Diese Frage ist verhaltensbasiert und zielt auf reale Kompetenzen ab – nicht auf theoretisches Wissen.

Gleichzeitig legt Dein Team fest, wie Antworten bewertet werden. Das kann eine Skala von 1 bis 5 Punkten sein oder ein Bewertungsraster mit konkreten Kriterien pro Antwort.

2. Durchführung: Konsistenz im Gespräch

Während des Interviews notiert der Interviewende strukturiert die Antworten. Das ist wichtig, denn die Dokumentation trennt die Phase der Informationsaufnahme von der späteren Bewertung. Ein zweiter Beobachter kann parallel auch Notizen machen, um Beobachtungsverzerrungen zu minimieren.

Der Interviewer bleibt neutral und folgt dem Fragenkatalog konsequent. Bei interessanten Nebenthemen kann nachgehakt werden, das Grundgerüst bleibt aber unverändert.

3. Bewertung: Objektivität durch Kriterien

Nach dem Gespräch bewertet jeder Interviewer die Antworten unabhängig voneinander anhand der vordefinierten Kriterien. Erst später werden die Bewertungen zusammengeführt und eventuell abgeglichen.

Dieses „Mehraugenprinzip“ – mindestens zwei unabhängige Bewerter – ist zentral für die Objektivität.

4. Vergleich: Daten statt Bauchgefühl

Nun lassen sich die Kandidaten direkt vergleichen, da alle denselben Fragen unterzogen wurden. Die Entscheidung basiert auf strukturierten Daten, nicht auf persönlichen Sympathien.

Best Practices – So machst Du es richtig

Verhaltensbasierte Fragen statt Wissensfragen

Frage nicht: „Was würdest Du tun, wenn…?“ Frage stattdessen: „Erzählen Sie von einer konkreten Situation, in der…“ Mit der STAR-Methode (Situation, Task, Action, Result) förderst Du echte Geschichten statt Textbuch-Antworten.

Balance zwischen Struktur und Gesprächsfluss

Eine starke Struktur darf nicht wie ein Verhör wirken. Versuche, ein angenehmes Gesprächsklima zu schaffen, auch wenn der Ablauf standardisiert ist. Kleine Übergänge zwischen den Fragen helfen: „Das freut mich, dass Du das angesprochen hast. Jetzt möchte ich noch eine andere Situation erfragen…“

Schulung der Interviewenden ist wichtig

Alle beteiligten Personen sollten trainiert sein – im Umgang mit der Methode, in der Minimierung von Bias und im aktiven Zuhören. Unterschiedliche Interviewer ohne Training führen zu inkonsistenten Ergebnissen.

Dokumentation ernst nehmen

Ausführliche Notizen sind der Schlüssel zur objektiven Bewertung. Sie helfen später, wenn zwischen zwei Kandidaten gewählt werden muss – dann hast Du konkrete Aussagen und nicht nur ein Bauchgefühl.

Transparenz bei Kandidaten

Erkläre Bewerbern zu Beginn des Gesprächs, wie der Ablauf funktioniert. Das nimmt ihnen die Angst vor einem „Verhör-Charakter“ und hilft ihnen, sich besser zu konzentrieren.

Vorteile

Warum strukturierte Interviews sinnvoll sind

Objektivität statt Vorurteile: Standardisierte Fragen und Bewertungskriterien reduzieren unbewusste Vorurteile deutlich. Studien zeigen, dass dies zu faireren und besseren Einstellungsentscheidungen führt.

Vergleichbarkeit: Alle Kandidaten werden mit denselben Maßstäben gemessen. Du siehst deutlich, wer objektiv am besten passt.

Konsistenz: Keine wichtigen Informationen gehen verloren, weil der Interviewer bei anderen Kandidaten andere Fragen stellte. Alle relevanten Punkte sind abgedeckt.

Reduktion von Fehlbesetzungen: Weil die Bewertung fundierter ist, sinkt das Risiko, die falsche Person einzustellen – das spart erhebliche Kosten.

Rechtssicherheit: Ein strukturiertes, dokumentiertes Verfahren ist im Konfliktfall leichter zu verteidigen.

Bessere Candidate Experience: Viele Kandidaten erleben strukturierte Interviews als fair und transparent – das stärkt Dein Employer Branding.

Herausforderungen und Lösungen

Herausforderung: Aufwand in der Vorbereitung

Ja, die Entwicklung eines guten Fragenkatalogs und Bewertungsschemas kostet Zeit. Das amortisiert sich aber schnell: Bessere Einstellungen, weniger Fluktuation und kürzere Entscheidungszeiten durch klare Kriterien.

Lösungsansatz: Arbeite mit anderen Abteilungen zusammen und starte mit einer kleineren Anzahl kritischer Fragen. Mit der Zeit wird das Verfahren feiner.

Herausforderung: Zu starr wirken

Wenn Interviewer nur „abfragen“ statt zuzuhören, kann das befremdlich wirken. Das ist aber kein Fehler der Methode, sondern der Umsetzung.

Lösungsansatz: Trainiere Deine Interviewer darin, dass Struktur nicht Starrheit bedeutet. Raum für Nachfragen und authentische Gesprächsmomente ist wichtig.

Herausforderung: Interessante Infos gehen verloren

Wenn ein Kandidat etwas Spannendes erwähnt, das über die Fragen hinausgeht, ist der Raum dafür begrenzt.

Lösungsansatz: Nutze ein halbstrukturiertes Modell: Kernfragen sind standardisiert, aber Du hast Freiraum für Vertiefung. Oder kombiniere strukturierte Interviews mit anderen Verfahren wie Assessment Center oder Arbeitsproben.

Tools und Software zur Umsetzung

Recruiting-Management-Systeme (ATS)

Strukturierte Interviews können in vielen Plattformen direkt im System verankert werden. Du kannst standardisierte Fragebögen erstellen, Bewertungen direkt im Tool festhalten und auswerten.

Vorteile: Automatisierte Auswertung, Vergleichbarkeit, Dokumentation, Multibewerter-Funktionen.

Interview-Feedback-Tools

Spezialisierte Tools optimieren die Planung und das Feedback-Management. Sie erinnern Interviewer an bevorstehende Gespräche, fördern strukturiertes Feedback in Echtzeit und erstellen KI-gestützte Zusammenfassungen.

Bewertungs- und Scorecards

Viele Lösungen bieten integrierte Scorecards mit vordefinierten Kriterien. Diese helfen Interviewern, während des Gesprächs Notizen zu machen und direkt nach standardisierten Dimensionen zu bewerten.

Dokumentations- und Analysefunktionen

Die beste Software sammelt alle Informationen an einem Ort: Kandidatenprofil, Transkripte  der Gespräche, Bewertungen und Feedback aller Interviewer. So hast Du vollständige Transparenz über den Prozess.

Kombination mit anderen Verfahren

Strukturierte Interviews wirken am stärksten, wenn Du sie mit anderen Methoden kombinierst:

  • STAR-Methode: Nutze sie gezielt in den Fragen, um verhaltensbasierte Antworten zu fördern.
  • Assessment Center: Ergänze das Interview um praktische Übungen, die reale Arbeitssituationen simulieren.
  • Arbeitsproben: Teste fachliche Kompetenzen durch echte Aufgaben aus dem Joballtag.
  • Persönlichkeitstests: Wenn sinnvoll, kombiniere mit wissenschaftlich validierten Testverfahren.

So minimierst Du blinde Flecken und triffst eine noch fundierte Entscheidung.

Fazit

Das strukturierte Interview als Standard

Strukturierte Interviews sind eine bewährte Methode, um objektive, faire und verlässliche Einstellungsentscheidungen zu treffen. Sie erfordern mehr Vorbereitung, zahlen sich aber schnell aus, denn es gibt weniger Fehlbesetzungen, bessere Kandidatenerfahrungen und eine höhere Akzeptanz von Auswahlentscheidungen – sowohl intern als auch bei Bewerbern.

Das Wichtigste ist, die Methode richtig umzusetzen. Mit gut geschulten Interviewern, klaren Kriterien, sorgfältiger Dokumentation und der Balance zwischen Struktur und Authentizität. Dann wird Dein Recruiting nicht nur fairer, sondern auch erfolgreicher.

Die Botschaft ist klar: Die strukturierte Interviewführung bedeutet nicht Gefühlskälte oder Seelenlosigkeit im Gespräch. Es zeigt Vergleichbarkeit, Fairness und Qualität und genau das braucht es, um die besten Talente für Dein Unternehmen zu gewinnen.

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