Wann sie wirklich wichtig ist – und wann man lieber allein arbeiten sollte
Kurzfassung für Dein Verständnis
Teamfähigkeit ist einer der meistgeforderten Soft Skills – aber sie wird oft missverstanden. Das Problem dabei ist, dass viele Unternehmen ihre Mitarbeitenden in ständige Zusammenarbeit zwingen, obwohl komplexe Aufgaben und tiefe Fokusarbeit ganz andere Anforderungen haben. Du wirst in diesem Artikel erfahren, wann Teamfähigkeit tatsächlich einen Mehrwert schafft, wann sie nur Ablenkung ist, und wie Du eine echte Kultur der intelligenten Zusammenarbeit aufbaust, anstatt unnötige, zeitverschwendene Meeting-Marathons durchführst.
Was ist Teamfähigkeit wirklich?
Teamfähigkeit ist nicht das, was viele denken.
Häufig wird Teamfähigkeit als die Fähigkeit definiert, sich unterzuordnen, alles gemeinsam zu machen und sich dabei selbst zurückzunehmen. Das ist ein Missverständnis und es führt zu ineffizienten Teams und Zeitverschwendung.
Teamfähigkeit ist tatsächlich eine Kompetenz, die es Dir ermöglicht, konstruktiv und selbstbewusst innerhalb eines Teams zu arbeiten, während Du gleichzeitig Deine eigenen Stärken einbringst und Verantwortung für Dein Puzzleteil übernimmst. Sie setzt sich aus mehreren Elementen zusammen, wie Kommunikationsfähigkeit, Kritikfähigkeit, Selbstständigkeit, Empathie und Kompromissbereitschaft.
Teamfähigkeit bedeutet NICHT, dass Du jeden Schritt gemeinsam mit Kollegen durchgehen musst. Sie bedeutet auch nicht, dass ständige Abstimmung und Meetings zum Erfolg führen.
Die unbequeme Wahrheit
Nicht jede Aufgabe braucht ein Team
Hier wird es kritisch. Viele Unternehmen haben ein großes Problem, denn sie glauben, dass Zusammenarbeit immer die beste Lösung ist. Das ist falsch.
Die Forschung ist eindeutig. Bei einfachen, gut definierten Aufgaben sind einzeln arbeitende Mitarbeitende überlegen. Nur bei komplexen, anspruchsvollen Aufgaben mit vielen Facetten ist Teamarbeit wirklich sinnvoll. Ein Elektrofahrzeug zu entwickeln? Das braucht ein Team. Eine Standard-Analyse zu schreiben? Das funktioniert besser allein.
Das Problem der ständigen Abstimmung
Wenn Du Dein Team in eine ständige Zusammenarbeit zwingst, entstehen erhebliche Nachteile.
- Abstimmungsaufwand: Informelle Zusammenarbeit ist oft schneller und effektiver als formalisierte Meetings
- Ablenkung und Kontextwechsel: Ständige Unterbrechungen zerstören den mentalen Flow-Zustand, in dem tiefe Arbeit möglich ist
- Vertrauensverlust: Wenn Mitarbeitende wissen, dass sie nicht allein entscheiden dürfen, vermeiden sie es, Verantwortung zu übernehmen
- Emotionale Erschöpfung: Permanente soziale Interaktion kann sogar zu Burnout führen
Deep Work vs. Teamwork
Die Balance entscheidet
Moderne Wissensarbeit braucht beides und das in ausgewogener Art und Weise.
Deep Work ist konzentrierte Einzelarbeit, in der Du ungestört komplexe Probleme lösen kannst. Team Work ist die intensive Zusammenarbeit, in der Ideen ausgetauscht und Herausforderungen gelöst werden.
Viele Unternehmen haben die Balance verloren und das ist ein Problem. Die Forschung zeigt, dass 65 Prozent der Führungskräfte berichten, dass Meetings sie von ihrer eigentlichen Arbeit abhalten. 71 Prozent finden Besprechungen unproduktiv und ineffizient.

Was passiert, wenn Deep Work permanent unterbrochen wird?
Der „Flow“-Zustand, dieser Zustand maximaler Fokussierung und Produktivität, wird fast unmöglich zu erreichen. Es braucht etwa 15–20 Minuten, um in diese tiefe Konzentration zu kommen. Wenn jemand alle 30 Minuten unterbrochen wird (durch Meetings, Chats, Anfragen), kommt dieser Flow-Zustand nie zustande.
Die Lösung: Blockiere Zeit für Deep Work. Manche Tech-Unternehmen (etwa Spotify oder GitHub) haben „No Meeting Days“ oder „Deep Work Hours“ eingeführt, also ungestörte Zeit, in der Meetings nicht stattfinden dürfen. Das Ergebnis ist höhere Produktivität, bessere Ergebnisse, zufriedenere Mitarbeitende.
Das Mehraugensystem = brauchbar?
Das „4-Augen-Prinzip“ ist in manchen Bereichen sinnvoll, aber nicht überall.
In Bereichen mit hohem Risiko (etwa Compliance, Finanzen oder Qualitätssicherung) ist das 4-Augen-Prinzip absolut wertvoll, denn es verhindert Fehler, die später teuer werden.
Aber in anderen Bereichen wird es zur Bremse. Wenn jede Entscheidung durch ein Meeting validiert werden muss, jeder Entwurf mit mindestens zwei anderen Personen durchgesprochen werden muss, entstehen längere Durchlaufzeiten und nicht zwingend bessere Ergebnisse.
Wann macht das Mehraugensystem Sinn?
- Hohe Risiken: Finanzielle Entscheidungen, rechtliche Fragen, Sicherheitskritische Themen
- Komplexe Probleme: Wenn verschiedene Perspektiven tatsächlich zu besseren Lösungen führen
- Strategische Entscheidungen: Wenn mehrere Stakeholder etwas beitragen sollen
Wann wird es zum Ballast?
- Operative Aufgaben: Routinemäßige Arbeit, die eine Person gut beherrscht
- Kreative Arbeit: Brainstorming und Ideenfindung brauchen manchmal erst konzentrierte Einzelarbeit, bevor Feedback sinnvoll ist
- Zeitkritische Themen: Wenn schnelle Entscheidungen notwendig sind, kann das Mehraugensystem die Agilität zerstören
Meetings
Der größte Produktivitätskiller
Hier wird es unbequem.
Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat das untersucht, und die Ergebnisse klingen für die Meeting-Kultur in deutschen Unternehmen problematisch.
Was bei Meetings regelmäßig schiefläuft
- Unklare Entscheidungsbefugnisse: Teilnehmende wissen nicht, wer am Ende entscheiden darf. Als Ergebnis wird noch ein weiteres Meeting angesetzt und die Entscheidung vertagt
- Verantwortung abschieben: Aus Angst vor Fehlern berufen Manager Meeting nach Meeting ein, um sich ihre Vorschläge absegnen zu lassen
- Kontroll- statt Beteiligungsinstrument: Meetings werden genutzt, um Mitarbeitende zu kontrollieren, nicht um zu kooperieren
- Schaukampf statt Kooperation: Manche Menschen nutzen Meetings, um Machtkämpfe auszufechten oder sich selbst darzustellen
Das Ergebnis: 60 Prozent aller Befragten wünschen sich statt weiterer Meetings mehr asynchrone Zusammenarbeit.

Asynchrone Arbeit ist also die Lösung
Asynchrones Arbeiten bedeutet: Dein Team arbeitet nicht in Echtzeit zusammen, sondern auf Basis von Dokumentation, schriftlichen Updates und zeitversetzter Kommunikation.
Vorteile:
- Weniger Ablenkungen und besserer Fokus
- Bessere Planung: Mitarbeitende müssen ihre Arbeit strukturierter denken, da sie nicht auf sofortige Antworten rechnen können
- Mehr Flexibilität: Dein Team arbeitet, wenn es am produktivsten ist und nicht, wenn ein Meeting angesetzt ist
- Bessere Dokumentation: Alles ist schriftlich festgehalten, nicht nur im Kopf eines Meetingteilnehmers
Wann braucht es echte Teamfähigkeit?
Teamfähigkeit ist absolut notwendig, wenn:
- Die Aufgabe komplex ist: Verschiedene Disziplinen müssen zusammenkommen. Ein Softwareprojekt mit Frontend-, Backend- und DevOps-Anforderungen braucht ein echtes Team.
- Echte gegenseitige Abhängigkeit besteht: Die Arbeit der einen Person ist direkt vom Output der anderen abhängig, nicht nur theoretisch, sondern praktisch
- Kreativität und Innovation notwendig sind: Unterschiedliche Perspektiven führen zu besseren Lösungen
- Schnelle Entscheidungen erforderlich sind: Ein gut aufgestelltes Team kann schneller reagieren als bei langen Abstimmungsprozessen
Teamfähigkeit ist weniger kritisch, wenn:
- Die Aufgabe klar definierbar und selbständig lösbar ist: Ein Analyst, der einen standardisierten Report erstellt, braucht sich nicht täglich mit dem Team abzustimmen
- Tiefe Fokusarbeit notwendig ist: Ein Entwickler, der einen komplexen Algorithmus schreibt, braucht Ruhe, keine Meetings
- Die zeitliche Abhängigkeit gering ist: Wenn Aufgaben sequenziell ablaufen (ich liefere meinen Output, dann arbeitest Du weiter), braucht es weniger synchrone Kommunikation
Wie Du intelligente Teamfähigkeit in Deinem Unternehmen aufbaust
Weg von der Meeting-Kultur, hin zur Ergebnis-Kultur ist das Ziel.
1. Klare Rollenverteilung und Entscheidungsbefugnisse
Das A und O ist Klarheit. Wer entscheidet was? Wer ist für welchen Bereich verantwortlich? Viele Meetings entstehen nur deshalb, weil diese Klarheit fehlt.
Definiert folgendes für wichtige Entscheidungen: Wer hat die finale Entscheidungskompetenz? Wer wird konsultiert? Wer muss informiert sein? (Das „RACI“-Modell – Responsible, Accountable, Consulted, Informed ist hier wirklich hilfreich)
2. Deep Work Zeit schützen
Beispielsweise keine Meetings vor 10 Uhr. Freitag-Nachmittags sind Meeting-frei. Der Montag-Morgen ist für fokussierte Arbeit reserviert.
Führe „No Meeting Days“ oder „Deep Work Hours“ ein. Das klingt wie eine kleine Maßnahme, hat aber messbare Effekte auf Produktivität und Mitarbeiterzufriedenheit.
3. Asynchrone Kommunikation fördern
Nicht jede Information braucht ein Meeting. Nutze Dokumentation, Slack/Teams-Updates, Video-Aufzeichnungen statt Live-Meetings.
Vor einem Meeting fragen: „Können wir das schriftlich kommunizieren?“ Oft ist die Antwort ja – und alle sparen Zeit.
4. Beim Recruiting gezielt auf Teamfähigkeit schauen
Nicht auf dem Papier, sondern in der Realität. Ein Probearbeitstag, in dem der Kandidat oder die Kandidatin mit dem echten Team arbeitet, ist aussagekräftiger als jedes Interview.
Achte darauf, dass in Deinem Team niemand ist, der Erfolge auf dem Rücken anderer erarbeitet, sondern Personen, die wirklich kooperativ arbeiten.
5. Kritisches Hinterfragen der Meeting-Kultur
Nicht jeden Termin, der im Kalender steht, ist sinnvoll. Stelle regelmäßig die Frage: Ist dieses Meeting noch notwendig? Gibt es eine bessere Lösung?
Fazit
Die unbequeme Schlussfolgerung
Teamfähigkeit ist wichtig, aber nicht andauernd und nicht für alle Aufgaben gleich.
Du kannst von Deinen Mitarbeitenden nicht gleichzeitig verlangen, dass sie:
- Tiefe, konzentrierte Arbeit leisten
- Ständig verfügbar für Meetings sind
- Schnell durchdachte Entscheidungen treffen
- Dabei auch noch Innovationen hervorbringen
Das ist nicht Multitasking, das ist unmöglich und funktioniert einfach vom Gehirn her schon nicht.
In der Realität arbeiten Top-Performer in Deinem Unternehmen oft so, dass sie sich Zeit für Deep Work nehmen, gezielt mit dem Team kooperieren (wenn es sinnvoll ist) und den Rest der Zeit asynchron arbeiten.
Das erfordert ein anderes Verständnis von Teamfähigkeit. Nicht als ständige Präsenz und Verfügbarkeit, sondern als Fähigkeit, genau zu wissen, wann echte Zusammenarbeit wertvoll ist und wann nicht.
Für Dich als Führungskraft bedeutet das, dass Du eine Kultur gestaltest, in der Mitarbeitende sich trauen, auch mal Nein zu zusätzlichen Meetings zu sagen. In der Einzelarbeit werden Mitarbeitende genauso respektiert wie in der Teamarbeit und in der klare Entscheidungsbefugnisse dafür sorgen, dass nicht alles durch einen kollektiven Abstimmungsprozess gehen muss.
Praktische Checkliste für Dein Team
Nutze diese Fragen, um Eure Teamfähigkeit zu reflektieren.
- Wie viel Zeit verwenden wir für Meetings vs. fokussierte Arbeit?
- Sind Entscheidungsbefugnisse wirklich klar oder werden Entscheidungen verschoben?
- Arbeiten wir asynchron, wo es möglich ist oder zwingen wir Mitarbeitende in Echtzeit-Meetings?
- Welche Aufgaben brauchen definitiv ein Team – und welche könnten schneller von einer Person allein gelöst werden?
- Wie unterstützen wir Deep Work in unserem Unternehmen?
- Trauen sich unsere Mitarbeitenden, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen, oder schieben sie alles in ein Abstimmungsmeeting?
Schreib mir gerne Deine Gedanken: Wie sieht die Meeting-Kultur in Deinem Unternehmen aus? Wo verliert Dein Team Zeit?
FAQ
Teamfähigkeit heißt nicht, ständig alles gemeinsam zu tun. Sie bedeutet, konstruktiv und eigenverantwortlich mit anderen zu arbeiten, die eigenen Stärken einzubringen und klar zu wissen, wann Zusammenarbeit sinnvoll ist.
Teamarbeit ist vor allem bei komplexen, interdisziplinären Aufgaben nötig. Für Routine- oder Fokusarbeit ist Einzelarbeit oft produktiver und effizienter.
Durch klare Rollen, asynchrone Kommunikation, Deep-Work-Zeiten und eine Meeting-Kultur, die Ergebnisse statt Dauerpräsenz fördert.
Viele Unternehmen verwechseln Teamfähigkeit mit Anpassung und Dauerabstimmung. Das führt zu Meeting-Marathons, Verantwortungsverlust und sinkender Produktivität.




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